Heute sind Claudia Czernik und Pascal Nohl-Deryk vom Podcast Gesund. Macht. Politik. zu Gast und erklären mir das Kapitel Gesundheit & Pflege des Koalitionsvertrags. Spoiler: Es ist nicht hoffnungslos!

Erwähnte Folgen:
- PR036 Agrarpaket, Medizinforschung, Energiewende und Balkonkraftwerke
- KoaV: Digital- und Netzpolitik mit Linus Neumann
- KoaV: Sozialpolitik mit Katharina Lorenz
- PR049 Regierungsbildung mit Hindernissen
Transkript
Hier findest du das vollständige Transkript dieser Folge:
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Bei dem ganzen Primär-/Hausarzt-System sehe ich einen konkreten Fall, der da so gar nicht sauber abgedeckt ist. Und zwar habe ich als Hydrocephalus zu unplanbaren Zeitpunkten den dringenden Behandlungsbedarf (chirurgisch), und gleichzeitig das Problem, dass das Gehirn nur minimal funktioniert. Beim letzten Mal hab ich da beim Notruf angerufen, mich zu nem Krankentransport verbinden lassen, und dann ohne Blaulicht in der Notaufnahme vom Unikrankenhaus gelandet, wo ich dann auch stationär bleiben durfte und operiert wurde. Nun weiß ich vorher, dass ich a ) im Problemfall gar nicht groß denken kann (weswegen ich schon einen gepackten Notfall-Koffer vorbereitet habe), bei sowas wie Hausarzt völlig falsch aufgehoben wäre, aber andererseits auch kein großes Tatütata brauche (und nein, Öffis oder Taxi gehen nicht gut, weil das Gehirn rund alle 45 Minuten verlangt, der Magen möge geleert werden). Ich seh mich da so gar nicht abgebildet. Ja, Einzelfall, ich weiß. Aber als mir ein Auge komplett schwarz wurde (Netzhautablösung, kann ich nicht empfehlen), wäre ich beim Hausarzt auch nicht glücklich geworden. Die Augenarztpraxis hat mich da auch direkt ins Krankenhaus überwiesen (wo die Ambulanz eigentlich gar nicht offen gewesen wäre, aber als Notfall darf einem das völlig egal sein). Politik holt mich irgendwie nicht ab. Aber ich will ja auch eine ePA.
Zu der Psychotherapie: Da stimmt vieles der Erläuterungen nicht.
Zur Ausbildung:
Früher hat man Psychologie studiert. Nach dem Master konnte man in Kliniken arbeiten. Um eine eigene Praxis haben zu können musste man eine mindestens 3 jährige Ausbildung drauf setzen. Die bezahlt man selbst und die Einnahmen währenddessen waren gering (wurde die letzten Jahre besser). Man war dann psychologischer Psychotherapeut.
Dann gab es unter Spahn eine Reform. Man studiert nun direkt Psychotherapie und darf sich nach dem Master Psychotherapeut nennen. Das ist aber Etikettenschwindel. Die neuen Psychotherapeuten dürfen ziemlich genau das was früher Psychologen dürften. Wer eine eigene Praxis will muss jetzt eine Weiterbildung zum Fachpsychologen machen. Neuer Titel altes Problem.
Das Versorgungsproblem ist aber ein ganz anderes. Wir Therapeuten brauchen (wie die Ärzte) einen Kassensitz. Davon gibt es aber zu wenig. Laiengerecht: Es gibt zu wenig Lizenzen um mit der Krankenkasse abzurechnen. Es mangelt nicht so sehr an Therapeuten als an den Möglichkeiten eine Praxis zu betreiben. Die Berechnungen für den Bedarf stammt aus den 90er Jahren als viel weniger Therapie gebraucht wurde.
Eine Korrektur ist nicht gewünscht. Denn doppelt so viele Kassensitze bedeutet auch doppelt so hohe Kosten für Psychotherapie. Die Patienten freut es nicht mehr bis zu einem Jahr auf einen Termin warten zu müssen aber es wird teurer. Langfristig spart man etwas weil man Chronifizierungen und stationäre Behandlungen vermeidet, aber erstmal wird es viel teurer.
Daher bringen auch die ganzen Maßnahmen nichts. Viele Vorschläge basieren auf der Annahme wir würden unnötig lang behandeln und keine Lust auf Patienten haben. Im ernst – wenn ich eine Warteliste von einem Jahr habe, habe ich überhaupt keinen Anreiz länger zu behandeln. Noch dazu sind schon heute die ersten 10 Sitzungen höher vergütet. Das bedeutet schon jetzt, dass schwierige Fälle weniger einbringen. Jemand schwer traumatisiertes bringt mir weniger Geld als die nette Studentin mit ein bisschen Prüfungsangst. Mehr Kurzzeittherapie heißt, dass ich die besonders schwer kranken Patienten ablehne.
Zu den schnellen Terminen: das ist schon jetzt so. Wir sollen freie Sprechstunden melden. Heißt ich muss dann hin und wieder eine Person spontan einmalig sehen. Mache ich und sag der Person dann sie soll in einem Jahr wiederkommen. Aktuell führt das immer wieder dazu, dass dringend Behandlungsbedürftige statt in die Psychiatrie in eine Sprechstunde geschickt werden.
Die aktuellen Vorschläge sehen so aus als ob sie das intensivieren sollen. Also mehr Patienten auf die bestehenden Therapeuten verteilen. Das sorgt für schnellere Termine und ist bei einfachen Fällen hilfreich. Der Rest hat ein Problem .
Mich würde im Zusammenhang mit ihrer Darstellung interessieren was wirklich passiert wenn mehr Kassensitze freigegeben werden?
Sind nicht auch – wie bei den Ärzten – die Leistungen der Psychotherapie budgetiert? D.h. wenn nun mehr Sitze frei gegeben werden, verteilt sich der Topf einfach auf mehr Schultern, also jeder einzelne bekommt weniger obwohl er das gleiche wie vorher leistet.
Die Antwort kommt leider spät:
Nein, die Psychotherapie ist nicht budgetiert. Deshalb haben wir weiter das Gutachterverfahren. Kurzzeittherapien darf ich einfach so machen und die teuren Langzeittherapien brauchen einen Antrag der geprüft wird. Diese Hürde funktioniert in der Therapie, in der Praxis ohne Relevanz. Praktisch ist die Anzahl der Sitze die Begrenzung.
Deshalb ist unsere eigene Berufspolitik zu dem Thema oft leise. Man könnte die Begrenzung der Sitze aufheben, aber dann gäbe es eine Budgetierung und der Beruf wird unattraktiv (man wird aktuell nicht arm aber auch nicht super reich). Es ist schon angenehm die sicheren Einnahmen zu haben.
Daher fehlt die Lösung: Mehr Therapie ohne Mehrkosten geht nur wenn man die Stundensätze drückt. Alles andere führt zu direkten Mehrkosten. Ich glaube zwar man spart durch weniger Hospitalisierungen, Arbeitsunfähigkeiten und Berentungen zwar Geld wieder ein, aber vollständig wird es die Mehrkosten wohl kaum decken.
Ein kurzer Kommentar aus der Praxis zu den kommerziellen Telemedizin Anbietern:
Ich habe mich als Kinderarzt mit Kassensitz bei einem Anbieter registriert im Glauben, dass ich wenn mal wieder ein Patient nicht erscheint oder ich noch Akuttermine frei habe, einfach per Video weitermachen kann.
Meine ersten Versuche haben mich desillusioniert:
– Von 4 Behandlung die ich durchgeführt habe, wollten 4 eine Krankmeldung. 3 davon als Bescheinigung für die Schule.
– In der Warteliste mit den offenen Anfragen, stand bei 90 % AU benötigt.
– Sobald ich einen Termin angenommen habe, konnte ich sehen wie oft die Patienten bereits vorher Krankmeldungen erhalten hatten. Einige haben sich alle 3 Tage einen Termin gemacht um eine neue Krankmeldung zu bekommen.
Hintergrund ist, dass bei jeder „Behandlung“ max 3 Tage ausgestellt werden dürfen.
Problematisch ist auch, dass von meinen Kollegen auch für Schüler (hier ist eine offizielle AU nicht vorgesehen) AUs (Krankmeldungen) ausgestellt wurden. Die Patienten oder Eltern haben dies auch bei der Anfrage zur Kenntnis nehmen müssen und haben trotzdem das gewünschte Dokument erhalten.
Nun zum Geschäftsmodell:
Der Telemedizinanbieter kassiert für die Vermittlung zwischen 20 und 30 % des Honorars. Für den Arzt ist es dennoch lukrativ, da er für jeden Patienten die Pauschale der hausärztlichen Versorgung zugesetzt bekommt. (03040 oder 04040). Diese sollte eigentlich pro Patient nur einmal im Quartal für die Wahrnehmung des hausärztlichen Versorgungsauftrags gemäß § 73 Abs. 1 SGB V an den jeweiligen Hausarzt ausgezahlt werden. So kann es passieren, dass die Pauschale für einen Patienten mehrfach an verschiedene „Hausärzte“ bezahlt wird.
In meinen Augen bereichern sich hier Firmen auf Kosten der Allgemeinheit und es erfolgen Serienkrankschreibungen.